Die Handlung, angesiedelt in den 1960er/70er Jahren in Liverpool, aber ohne weiteres auch auf ähnliche Städte in Deutschland, etwa im Ruhrgebiet, übertragbar, ist schnell erzählt: Mrs. Johnstone, alleinerziehende Mutter von fünf Kindern, lässt sich, als sie Zwillinge erwartet, von ihrer reichen Arbeitgeberin Mrs. Lyons dazu überreden, ihr einen ihrer Zwillinge abzugeben, da sie selbst keine Kinder bekommen kann. Mrs. Johnstone geht schweren Herzens darauf ein – die beiden Jungen wachsen getrennt von einander auf, Edward als Einzelkind in der reichen Familie, Mickey bei seiner armen Mutter.
Genau hier beginnt das Stück höchst aktuell zu werden, denn der Zuschauer erlebt nun eine völlig konträre Entwicklung dieser beiden Charaktere: Der eine, von zu Hause aus mit den besten Möglichkeiten ausgestattet und in jeder nur erdenklichen Hinsicht gefördert, macht Karriere, dem anderen gelingt dies nicht. Er besucht kein Internat, nur eine ‚normale’ Schule. Er ist tätig als Arbeiter, während der andere studieren kann. Das Bildungssystem unserer Gesellschaft sieht – wenn man Kritikern, die dies mit Statistiken zu belegen versuchen, glauben darf – keine Chancengleichheit in eigentlichem Sinne vor. Das ist hart, mitunter brutal, aber doch ein großes Stück weit Realität.
Die beiden Jungen treffen, obwohl beide Mütter dies ängstlich zu verhindern suchen, im Alter von sieben Jahren erstmals auf einander, freunden sich an und schließen sogar Blutsbrüderschaft (daher auch der Titel), ohne zu ahnen, dass sie in Wirklichkeit sogar echte Brüder sind. Ihre Wege trennen sich, und doch kreuzen sie sich immer wieder bis zu dem finalen Showdown, das herbeigeführt wird durch Eifersucht, Missgunst und Neid, das aber hier noch nicht detailliert verraten werden soll.
Die erste Szene des Musicals nimmt das eigentliche Ende bereits vorweg. Insofern ist das Spannende an dem Kammermusical – als solches kann man es durchaus bezeichnen – nicht, dass ‚es’ passiert, sondern wie es soweit kommen konnte, wobei hier der Erzählerin eine wichtige Funktion als Mahnerin, als ‚schlechtes Gewissen’ der Mrs. Johnstone, aber natürlich auch als diejenige, die die Erzählfäden in der Hand hält, zukommt.
„Ein gutes Musical ist eins, das man auch ohne Musik spielen kann“ sagte einst der große Leonard Bernstein. Und wenn das auf ein Musical zutrifft, dann wohl auf das Musical „BLUTSBRÜDER“ von Willy Russel. Denn obwohl die Musik und vor allem die Songs unter die Haut gehen, steht doch das berührende und zugleich betroffen machende Kammerspiel im Vordergrund. |